Frieden sei mit Dir!

Er möge mit Dir beginnen!

In einer Fabel aus Indien wird von einem Hund berichtet, der eines Tages in ein Zimmer geriet, in dem alle Wände Spiegel waren.

In einem fernen Land gab es vor langer, langer Zeit einen Tempel mit tausend Spiegeln und eines Tages kam, wie es der Zufall so will, ein Hund des Weges. Der Hund bemerkte, dass das Tor zum Tempel der tausend Spiegel geöffnet war und vorsichtig und ängstlich öffnete er das Tor und ging in den Tempel hinein. Und Hunde wissen natürlich nicht, was Spiegel sind und was sie vermögen und nachdem er den Tempel betreten hatte, glaubte er sich von tausend Hunden umgeben. Und der Hund begann zu knurren und er sah auf die vielen Spiegeln und überall sah er einen Hund, der ebenfalls knurrte. Und er begann die Zähne zu fletschen und im selben Augenblick begannen die tausend Hunde die Zähne zu fletschen und der Hund bekam es mit der Angst zu tun. So etwas hatte er noch nie erlebt und voller Panik lief er, so schnell er konnte, aus dem Tempel hinaus. Dieses furchtbare Erlebnis hatte sich tief in das Gedächtnis des Hundes vergraben. Fortan hielt er es für erwiesen, daß ihm andere Hunde feindlich gesinnt sein mussten. Die Welt war für ihn ein bedrohlicher Ort und er ward von anderen Hunden gemieden und lebte verbittert bis ans Ende seiner Tage.
Die Zeit verging und wie es der Zufall so will, kam eines Tages ein anderer Hund des Weges. Der Hund bemerkte, dass das Tor zum Tempel der tausend Spiegel geöffnet war und neugierig und erwartungsvoll öffnete er das Tor und ging in den Tempel hinein. Und Hunde wissen natürlich nicht, was Spiegel sind und was sie vermögen und nachdem er den Tempel betreten hatte, glaubte er sich von tausend Hunden umgeben. Und der Hund begann zu lächeln und er sah auf die vielen Spiegeln und überall sah er einen Hund, der ebenfalls lächelte – so gut Hunde eben lächeln können. Und er begann vor Freude mit dem Schwanz zu wedeln und im selben Augenblick begannen die tausend Hunde mit ihrem Schwanz zu wedeln und der Hund wurde noch fröhlicher. So etwas hatte er noch nie erlebt und voller Freude blieb er, so lange er konnte, im Tempel und spielte mit den tausend Hunden. Dieses schöne Erlebnis hatte sich tief in das Gedächtnis des Hundes vergraben. Fortan sah er es als erwiesen an, dass ihm andere Hunde freundlich gesinnt waren. Die Welt war für ihn ein freundlicher Ort und er ward von anderen Hunden gern gesehen und lebte glücklich bis ans Ende seiner Tage.

Fabel aus Indien

Mag diese kleine Geschichte vielleicht etwas skurril erscheinen, sie transportiert dennoch jene bedenkenswerte Lebenserfahrung, dass viele unserer negativen und un“friedlichen“ Erfahrungen mit uns selber zu tun haben. Das, was wir „Frieden“ und „Unfrieden“ nennen, entsteht meist in uns selbst. Überall dort, wo wir selbst mit uns uneins sind, nicht im Gleichgewicht unserer Möglichkeiten. Wo wir nicht mit uns im „Reinen“ sind, entsteht eine Unzu“frieden“heit, die wir nicht als unser ureigenes Gefühl wahrnehmen, sondern im Spiegelbild unserer Mitmenschen erkennen, sie dort kritisieren und bekämpfen.

Ein Mensch, der zum Beispiel in einer beengten Lebenssituation lebt, eingezwängt von Büro, Verkehrsstau, Ratenzahlung, Stechuhr und Pflichten, der hegt vielleicht sehr oft und sehr intensiv den geheimen Wunsch, alles hinzuwerfen, auszusteigen, auszubrechen in die freie Natur, nur noch zu genießen und zu entspannen. Zusammen mit diesem Wunsch steigt in ihm jedoch die große Angst, er könne damit seine Existenz und das Wohl seiner Familie aufs Spiel setzen. Diese versteckte Spannung, dieser geheime Zwiespalt würde ihn auf Dauer vielleicht innerlich zerreißen.

Genau an diesem Punkt wenden Menschen gerne – wenn auch weitgehend unbewusst einen „Trick“ an. Sie gehen von der Verteidigung sofort in den Angriff über. Sie versuchen gewissermaßen diese innere Spannung von ihrer Seele weg auf andere Menschen zu übertragen, deren „andere“ Lebensweise in ihnen diese Ängste wachrief. Sie benutzen diese „Fremden“ wie einen Blitzableiter, um die eigene Spannung auf jemanden abzuleiten. Nach dem Motto: „Du bist schuld!“.

In diesem Beispiel schüttet der betroffene Mensch seine ganze Abneigung und Unduldsamkeit auf all die Menschen in seiner Umgebung, die „nur so herum lungern“, auf alle „Penner“, „Spinner“, „Chaoten“, „Drückeberger“. Je intensiver er diese Menschengruppe angreift, (Un-frieden stiftet), desto mehr löst sich sein innerer Konflikt auf, weil er verschoben und umgewandelt wird. Die eigene versteckte Depression wird zur offenen Aggression.

Jesu sagt in diesem Zusammenhang: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“ Oder „Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen und siehe, ein Balken ist in deinem Auge. Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst.“ (Matth 7, 3-5).

Der mit sich selbst unzu“friedene“ Mensch, der immer nur auf die anderen starrt, um dort den eigentlichen Grund seines selbst verursachten Übels zu erkennen, stets an „der falschen Front“ kämpft, der lädt seinem Körper, seinem Geist und seiner Seele immer stärkeren, unnötigen Ballast auf, der unweigerlich zu einem Infarkt führen muss. Wer sich ernsthaft um seine eigenen Belange kümmert, achtsam, einfühlsam und den eigenen Bedürfnissen gegenüber engagiert bleibt, der wird damit entscheidend für den Frieden unter seinen Mitmenschen beitragen können.

Stanislaus Klemm, Diplompsychologe und –Theologe, In: Pfarrbriefservice.de